Der Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales und Entbürokratisierung Manfred Pentz hat heute gemeinsamen mit Innenminister Roman Poseck zu einer Veranstaltung zum Thema „80 Jahre nach der Schoa: Judenhass und kein Ende? – Zeitzeugen, Verfassungsschutz und Wissenschaft im Dialog“ in der Vertretung des Landes Hessen bei der Europäischen Union eingeladen. An der Veranstaltung nahmen neben Vertretern aus den jüdischen Gemeinden Hessen unter anderem auch S.E. Botschafter Martin Kotthaus, Botschafter Tamás Iván Kovács und der stellvertretende Chef der US-Mission Norman Thatcher Scharpf sowie weitere Exzellenzen, Abgeordnete des Europäischen Parlaments und Vertreter aus dem hessischen Sicherheitsbereich teil.
Reichspogromnacht 1938
Innenminister Roman Poseck führte in seiner Rede aus: „Am gestrigen 9. November haben wir der Reichspogromnacht 1938 gedacht. In jener Nacht gingen in Deutschland Synagogen in Flammen auf, jüdische Geschäfte wurden zerstört und Tausende Jüdinnen und Juden misshandelt, verhaftet oder getötet. Nie zuvor zeigte sich der Antisemitismus so deutlich und so grauenvoll wie in der sogenannten Reichskristallnacht. Es war der Anfang von dem, was uns heute als der größte Völkermord der Geschichte bekannt ist. Heute wissen wir, dass die Schoa mit Worten, mit Hass und mit Anfeindungen begann.
Dass wir uns acht Jahrzehnte nach der Befreiung der Konzentrationslager erneut über Antisemitismus austauschen müssen, ist beschämend, aber notwendig. Wir erleben in Deutschland und Europa eine beunruhigende Realität: Synagogen werden bewacht, Menschen verstecken ihre Kippa, antisemitische Anfeindungen werden auf Demonstrationen, Häuserwänden und im Netz verbreitet.
Antisemitismus hat sich gewandelt, er kommt rechts, von links, von islamistischen Ideologien und auch aus der Mitte der Gesellschaft. Er tarnt sich als „Israelkritik“, findet als Verschwörungsideologie statt und zeigt sich in Codes und mal in Memes im Netz. Doch der Kern ist derselbe geblieben: die Ablehnung des Judentums und der Hass auf jüdische Menschen.
Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023 war Zäsur
Der Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023 war dabei eine Zäsur. Dieser barbarische Angriff auf Israel hat nicht nur unermessliches Leid über die Menschen gebracht – er hat auch in Deutschland und Europa ein Klima geschaffen, in dem antisemitische Ressentiments auch im öffentlichen Raum immer unerträglicher zutage treten.
Im vergangenen Jahr ist die Zahl antisemitischer Vorfälle in Hessen laut der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus um 75 Prozent gestiegen. Das ist ein Alarmsignal dafür, dass sich der Hass, der sich über Jahrhunderte in Europa Bahn gebrochen hat, wieder Raum sucht. Dem müssen wir entschieden entgegentreten.
Es beschämt mich zutiefst, was Jüdinnen und Juden 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland ertragen müssen. Gerade für uns Deutsche erwächst eine dauerhafte Verantwortung, niemals zu vergessen, was geschah. Wichtig sind dafür Zeitzeugen, die uns und den nachfolgenden Generationen ihre Erfahrungen aus der NS-Zeit und an den Holocaust schildern. Ich danke den Zeitzeugen von Herzen, die heute Abend mit uns sprechen. Ihre Worte geben dem Unfassbaren ein Gesicht und machen begreifbar, was nie wieder geschehen darf.
Kampf gegen Antisemitismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Der Kampf gegen Antisemitismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Auch der Staat muss Verantwortung übernehmen. Die Hessische Landesregierung tut das: Jüdisches Leben hat für Hessen oberste Priorität. Die polizeilichen Schutzmaßnahmen für Einrichtungen jüdischen Lebens, zum Beispiel von Synagogen, Gemeindezentren, Schulen oder Kindergärten, sind in Hessen immer wieder erhöht worden und befinden sich dauerhaft auf einem hohen Niveau, hier leisten zum Beispiel auch Wachpolizisten einen sehr wertvollen Dienst. Auch moderne Technik kommt zum Einsatz: Die Westendsynagoge wird seit Februar mit einer Videoschutzanlage geschützt, um potenzielle Gefahren noch besser zu erkennen. Die rechtliche Grundlage haben wir dazu im neuen Polizeirecht geschaffen.
Daneben setze ich mich schon länger auf Bundesebene dafür ein, die Leugnung des Existenzrechts Israels strafrechtlich besser zu erfassen, damit unerträgliche Parolen auf unseren Straßen und Plätzen verhindert werden können. Bei den vielen Demonstrationen im Kontext des Nahostkonflikts gab es immer wieder Äußerungen, die das Existenzrecht Israels in Frage gestellt haben. Es ist dabei aus meiner Sicht deutlich geworden, dass der gegenwärtige Rechtsrahmen nicht ausreicht. Deshalb müssen wir Grenzen setzen. Die Innenminister der Länder haben meiner Initiative auf der IMK im vergangenen Jahr zugestimmt, dass es dafür eine bundesgesetzliche Regelung braucht. Der Bund muss die Strafbarkeitslücke schließen, um es den Versammlungsbehörden zu erleichtern, rechtssichere Verbote auszusprechen. Die Ampel hat das leider nicht erkannt. Umso erfreulicher ist, dass die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag aufgenommen hat, die bestehenden Straftatbestände zu erweitern und insbesondere die öffentliche Leugnung oder Verneinung des Existenzrechts Israels unter den Schutz des Strafrechts zu stellen.
Auch Europa trägt eine besondere Verantwortung, die Erinnerung wachzuhalten und zugleich entschlossen zu handeln. Unsere Werte – Menschenwürde, Freiheit, Toleranz – sind untrennbar mit dem Schutz jüdischen Lebens verbunden. Europa ist nur dann Europa, wenn es ein sicheres Zuhause für Jüdinnen und Juden ist. Dafür muss jeder Europäer jeden Tag aufs Neue eintreten.“