Büdingen war in den Jahren nach 1763 Anwerbe-Ort und Sammelplatz für die Auswanderungswilligen. Sogenannte „Lokatoren“ hatten ihre Werbebüros in der Stadt und versprachen den Menschen viele Vorteile in der russischen Fremde: Grund und Boden um eine Landwirtschaft aufzubauen, Religions- und Steuerfreiheit sowie Freiheit von der Wehrpflicht. Viele ließen sich von den Versprechen überzeugen und obwohl die Auswanderung offiziell verboten war, brach ein regelrechtes „Russland-Fieber“ aus. Die Menschen waren voller Hoffnung auf ein besseres Leben.
Besondere Beziehung zu Wolgadeutschen
„Viele verbinden mit Büdingen in erster Linie den Grafensitz derer zu Ysenburg. Vermutlich wissen nur Wenige, dass Büdingen eben auch eine ganz besondere Rolle für die Geschichte der Deutschen aus Russland spielt. Hier liegen die Wurzeln ihrer Geschichte“ erläuterte Landesbeauftragte Margarete Ziegler-Raschdorf in ihrem Grußwort. In der im Jahr 1491 geweihten Evangelischen Marktkirche sei regelrecht „im Akkord“ geheiratet worden, denn Zarin Katharina die Große habe nur verheiratete Siedler in Russland aufnehmen wollen. Der Marktplatz von Büdingen war der Sammelplatz für die Fuhrwerke der Auswanderer; von dort seien sie durch das „Jerusalem-Tor“ aus der Stadt gezogen. Rund anderthalb Jahre habe die beschwerliche Reise ins Ungewisse gedauert, die sie nach Lübeck und von dort per Schiff über die Ostsee nach St. Petersburg und schließlich an die Wolga führte, wo sie nach harten ersten Jahren ihre ersten Siedlungen errichteten.
Weil dem Einladungsmanifest der russischen Zarin sehr viele Auswanderer aus Hessen gefolgt waren, steht das Land Hessen in einer besonderen Beziehung zu den Wolgadeutschen und hat im Jahr 1985 die Patenschaft über die Wolgadeutschen übernommen. Die Fachtagung im Büdinger Schloss stand unter der Schirmherrschaft des hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein.
Fachtagung mit interessanten Fachvorträgen
Die Interessengemeinschaft der Deutschen aus Russland in Hessen (IDRH) und die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (LMDR) – vertreten durch Geschäftsführerin Natalie Paschenko hatten gemeinsam mit dem Bayerischen Kulturzentrum der Deutschen aus Russland (BKDR) – vertreten durch Geschäftsleiter Waldemar Eisenbraun die Fachtagung „260 Jahre Einladungsmanifest“ mit interessanten Fachvorträgen vorbereitet. So sprach Dr. Viktor Krieger (BKDR) über „Einwanderer aus Europa im Kalkül der russischen Aussiedlungspolitik im 18. Jahrhundert zwischen Anspruch und Wirklichkeit“, Dr. Olga Litzenberger (BKDR) zum Thema „Deutsche Spuren an der Wolga“ und der Autor und Träger des hessischen Landespreises „Flucht, Vertreibung, Eingliederung“ des Jahres 2013, Dr. Wendelin Mangold, über den „Generationenwechsel der Russlanddeutschen: Erfolge und Belange“.
Landesbeauftragte Ziegler-Raschdorf zeigte sich begeistert von den eindrucksvollen Beiträgen und der wunderbaren Atmosphäre in den historischen Mauern des Büdinger Schlosses: „Diese Tagung sollte zum Standard für jede russlanddeutsche Gruppe werden und sollte bald in noch größerem Rahmen wiederholt werden. Mein herzlicher Dank geht an die Organisatoren und alle Teilnehmenden.“
Den krönenden Abschluss der Tagung bildete eine kurzweilige Stadtführung durch das mittelalterliche Büdingen unter fachkundiger Leitung, die unter dem Titel stand: “Russlandfieber: Auf den Spuren der Deutschen aus Russland“.