„Der Rechtsextremismus ist derzeit die größte Bedrohung für unsere Demokratie. Er wirkt wie ein tödliches Gift auf unsere offene, vielfältige und tolerante Gesellschaft und gefährdet das Leben von Menschen. Besonders Hessen hat auf schmerzliche Weise erfahren, zu welchen Taten Rechtsextremisten fähig sind. Erschreckend ist auch, dass der Rechtsextremismus inzwischen in den Parlamenten angekommen ist. Durch die Verrohung des Klimas dort wird zunehmend auch ein Nährboden für rechtsextrem motivierte Straftaten bereitet. Die Bekämpfung des Rechtsextremismus ist daher wichtiger denn je. Die Erscheinungsformen des Rechtsextremismus sind vielfältig: Sie reichen von verbalen Entgleisungen und Hasspostings über Waffendelikte bis hin zu terroristischen Strukturen und Angriffen auf Leib und Leben. Die politisch motivierte Kriminalität hat massiv zugenommen. Das bestätigen auch die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik 2024: Rechtsmotivierte Straftaten sind gegenüber dem Vorjahr um fast 60 Prozent gestiegen – ein neuer Höchstwert, der große Besorgnis auslöst.
In Hessen begegnen wir dem Rechtsextremismus mit einem umfassenden Ansatz aus Repression und Prävention. Die eigens gegründete Einheit „Hessen R“, angesiedelt beim Hessischen Landeskriminalamt, nimmt durch einschlägig bekannte Straftäterinnen und Straftäter der rechten Szene gezielt in den Blick und klärt diese Strukturen weiter auf. Allein im Jahr 2024 vollstreckten die Ermittlerinnen und Ermittler der Einheit 88 Durchsuchungsbeschlüsse. Dabei wurden unter anderem 126 Waffen sowie zahlreiche NS-Devotionalien sichergestellt.
Gleichzeitig setzen wir gezielt auf Demokratieförderung, Extremismusprävention und Deradikalisierungsarbeit. Für das Landesprogramm „Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus“ stellen wir trotz der Konsolidierungsmaßnahmen im Gesamthaushalt Landesmittel auf dem Niveau der Vorjahre bereit. So können weiterhin wichtige Projekte zivilgesellschaftlicher Träger für Einzelpersonen, Schulen, Vereine, Kommunen, Hochschulen und Universitäten unterstützt werden. Auch die „Rote Linie – Pädagogische Fachstelle Rechtsextremismus“ profitiert von diesem Landesprogramm und erhält in diesem Jahr eine Förderung in Höhe von rund 145.000 Euro. Es war mir wichtig, mir heute persönlich ein Bild von der Arbeit der „Roten Linie“ zu machen.“
Frühes Gegensteuern bei jugendlicher Rechtsextremismus-Radikalisierung
„Es ist entscheidend, dem Rechtsextremismus frühzeitig zu begegnen. Leider stellen wir fest, dass sich zunehmend auch Jugendliche radikalisieren. Das zeigt unter anderem die jüngste Zerschlagung einer mutmaßlich rechtsextremen Terrorzelle, bestehend aus Personen im Alter von 14 bis 18 Jahren – darunter ein 14-Jähriger aus dem Lahn-Dill-Kreis.
Insgesamt nimmt die Zahl extremistischer Gewalttaten durch Minderjährige zu. Der Einstieg Jugendlicher in die rechtsextreme Szene ist häufig ein schleichender und langwieriger Prozess. Meist erfolgt der Erstkontakt mit rechtsradikalem Gedankengut oder entsprechenden Organisationen über lose Cliquen mit zunächst diffus rechten Orientierungen. Hat sich die betroffene Person erst einmal in der Gruppe etabliert, kommt es oft zur Abgrenzung von Familie, Freunden und Schule.
Genau hier setzt die „Rote Linie“ an: Seit 2010 unterstützt sie landesweit junge Menschen mit rechtsextremer Affinität oder Gefährdung, die etwa durch demokratiefeindliche Haltungen, rechtsextreme Ideologieelemente, Bezüge zu extremistischen Gruppen oder Propagandadelikte – häufig auch über soziale Medien – auffällig geworden sind. Die pädagogische Fachstelle bietet Fortbildungen, Beratungs- und Coachingangebote für Fach- und Lehrkräfte sowie Workshops und Austauschformate für Jugendliche und Multiplikatorinnen und Multiplikatoren an. Auch Themen wie „Reichsbürger“, „Neue Rechte“ und „Rassismus“ werden gezielt behandelt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Stärkung unserer Demokratie.
Ich bin überzeugt, dass die hier eingesetzten Mittel zielgerichtet und wirkungsvoll verwendet werden, um entschlossen gegen Rechtsextremismus vorzugehen. Mein Dank gilt allen, die sich engagiert für unsere demokratischen Werte einsetzen. Nur gemeinsam als Gesellschaft können wir dem Phänomen des Rechtsextremismus wirksam begegnen.
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Radikalisierung junger Menschen wollen wir in Hessen auch das Verfassungsschutzgesetz anpassen. Bisher dürfen personenbezogene Daten minderjähriger Personen höchstens fünf Jahre gespeichert werden – sofern nach Eintritt der Volljährigkeit keine weiteren Erkenntnisse vorliegen. Die geplante Reform sieht vor, im Einzelfall auch längere Speicherfristen zu ermöglichen. Es ist wichtig, dass der Verfassungsschutz auch weiterhin minderjährige Extremisten im Blick behalten kann, die bereits auffällig geworden sind. Die Reform des Verfassungsschutzgesetzes ist insofern auch eine Reaktion auf die aktuelle Sicherheitslage.“
Zur „Roten Linie“
Die „Rote Linie“ ist eine pädagogische Fachstelle, die im Themenfeld Rechtsextremismus hessenweit Ansprechpartner für Personen ist, die Unterstützung im Umgang mit rechtsextrem affinen jungen Menschen suchen. Die Angebote umfassen Beratung, Begleitung, Coaching sowie Fort- und Weiterbildung für Angehörige, Lehrende und Menschen in der sozialen Arbeit. Rechtsextrem gefährdeten jungen Menschen bieten wir sozialpädagogische Unterstützung.
Die Angebote der „Roten Linie – Pädagogische Fachstelle Rechtsextremismus“ dienen generell der Stärkung einer demokratischen Alltagskultur und beziehen sich auf Ausstiegswillige aus der rechten Szene ebenso wie auf Akteure im Themenfeld Rechtsextremismus, die Jugendliche, die mit rechtsextremen Gedanken oder Gruppierungen sympathisieren, für die Gefahren sensibilisieren und ihren weiteren Weg in die rechtsextreme Szene aufhalten möchten. Das hessenweit tätige Team bemüht sich darum, dass potenziell gefährdete junge Menschen die „rote Linie“ zu Radikalisierung und Extremismus nicht überschreiten.
Dieser Einstiegsprozess kann jedoch unterbrochen werden. Dazu können Eltern, Lehrer und Lehrerinnen, Pädagogen und Pädagoginnen, Ausbilder und Ausbilderinnen und andere Bezugspersonen durch gezielte und sensible Ansprachen, Grenzsetzungen sowie Beziehungsangebote beitragen.
Die „Rote Linie“ bündelt seit 2010 die Angebote von Jugendarbeit, Elternberatung sowie Ausstiegshilfen und bietet Kontakte sowie kompetente Informationen, Beratung und Fortbildungen an.