Hessisches Ministerium des Innern, für Sicherheit und Heimatschutz

Landesbeauftragte erfreut und dankbar über Eröffnung des neuen Schwerpunktbereichs

Über die Eröffnung des neuen Schwerpunktbereichs „Historische Erinnerung und kulturelles Erbe: „Vertriebene und Spätaussiedler in Hessen nach 1945“ zeigt sich die Beauftragte der Hessischen Landesregierung für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Margarete Ziegler-Raschdorf, hocherfreut und dankbar.

Die feierliche Veranstaltung fand im altehrwürdigen Hauptgebäude der Justus-Liebig-Universität in Gießen statt.

Mit der Einrichtung des Forschungsbereichs werde ein wichtiges Ziel umgesetzt, das die regierungstragenden Parteien der hessischen Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben hatten: die wissenschaftliche Aufarbeitung der Kultur und Geschichte der Heimatvertriebenen und Spätaussiedler. Es handele sich um ein gemeinsames Projekt der Justus-Liebig-Universität und des Herder-Instituts für historische Ostmitteleuropaforschung – Institut der Leibniz-Gemeinschaft.

Schwerpunktbereich für Themenbereich der Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler

„Die Einrichtung dieses Schwerpunktbereiches ist ein Meilenstein für den Themenbereich der Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler in Hessen, für den auch ich mich als Landesbeauftragte über viele Jahre auf unterschiedlichen Ebenen eingesetzt habe. Bereits 2012 hatte sich der BdV-Landesvorsitzende Siegbert Ortmann für einen Lehrstuhl ausgesprochen. Seither gab es wiederkehrende Impulse aus den Vertriebenenverbänden, dieses Ziel umzusetzen. Es ist eine große Freude, nunmehr die Verwirklichung dieses Zieles mitzuerleben! Mit großer Spannung verfolgen Landsmannschaften, Vertriebenenverbände, Spätaussiedlerorganisationen und ich als Landesbeauftragte, welche Erkenntnisse und Forschungsergebnisse uns erwarten. Viele Mitglieder von Landsmannschaften und Vertriebenenverbänden haben mir bereits signalisiert, dass sie die Schaffung dieses Schwerpunktbereiches begrüßen und die dortigen Forschungen mit großem Interesse verfolgen werden“, machte Margarete Ziegler-Raschdorf deutlich.

Der Schwerpunktbereich werde in den Jahren 2022 bis 2026 jährlich mit 300.000 Euro durch das Land Hessen gefördert, insgesamt also mit 1,5 Mio Euro und habe sich zum Ziel gesetzt, mit unterschiedlichen thematischen und methodischen Herangehensweisen zu erforschen, welche Einflüsse die Erfahrungen und Erlebnisse der Heimatvertriebenen und Spätaussiedler auf die Geschichte und Gesellschaft Hessens einerseits und auf die weiteren Lebensläufe der Betroffenen andererseits gehabt haben.

Schwerpunktbereich kann Forschungslücken schließen

Der Präsident der Justus-Liebig-Universität, Prof. Dr. Joybrato Mukkerjee, betonte in seiner Begrüßung, dass er sich sehr über das Kooperationsprojekt mit dem Herder-Institut freue und man mit diesem Schwerpunktbereich ein echtes Alleinstellungsmerkmal geschaffen habe. Hessens Wissenschaftsministerin Angela Dorn äußerte die Hoffnung, dass man mit dem Schwerpunktbereich die Forschungslücken in der jüngeren hessischen Geschichte schließen könne und durch Zeitzeugengespräche aus erster Hand erfahren werde, wie es den Vertriebenen und Spätaussiedlern tatsächlich ergangen sei. Mithilfe der neuen Medien und des Internets solle die Geschichte dieses Personenkreises für die Zukunft festgehalten werden und zukünftig zu einer lebendigen Vermittlung der Geschichte beitragen. Astrid Eibelshäuser, hauptamtliche Stadträtin der Stadt Gießen, ging in ihrem Grußwort auf die jahrzehntelangen Erfahrungen der Stadt Gießen bei der Aufnahme von Heimatvertriebenen, Aussiedlern und Spätaussiedlern sowie Flüchtlingen ein und zeigte sich überzeugt, dass sich bereits in Gießen selbst zahlreiche Spuren für dieses Forschungsgebiet finden ließen. 

Im Anschluss an die Grußworte stellten die drei Professoren, die den Schwerpunktbereich leiten, das Projekt vor. Prof. Dr. Peter Haslinger erklärte, dass er den Auftrag dieses Forschungsbereiches darin sehe, neue Erkenntnisse und neue Perspektiven für die hessische Landesgeschichte aufzuweisen, Zeitzeugen und deren Familien zu befragen, die Geschichte zu erforschen und dabei gleichzeitig Brücken in die aktuelle Zeit zu bauen. Prof. Dr. Hannah Ahlheim machte deutlich, dass man in diesem Schwerpunktbereich auch an internationale Trends der Forschung anknüpfen möchte und konkrete regionale Erfahrungen erforschen will. Dazu zähle u.a., wie die Vertriebenen ihren Platz im Dorf oder der Stadt gefunden haben und welche Rolle dabei die Gesellschaft gespielt habe. Sie betonte zudem, dass man auch die Zusammenarbeit zu örtlichen Museen und Archiven suche und für Kontakte in Landsmannschaften, Vertriebenenverbände und zu Familien von Betroffenen dankbar sei. Prof. Dr. Hans-Jürgen Bömelburg erklärte, dass auch erforscht werden solle, wie das Zusammenleben zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen in der Nachkriegszeit, z.B. das Verhältnis zwischen Heimatvertriebenen und sogenannten ‚Displaced Persons‘ funktioniert habe oder wie das Verhältnis zwischen Aussiedlern und Gastarbeitern war.

Im Anschluss hatten die drei Doktorandinnen die Gelegenheit, ihre Promotionsvorhaben vorzustellen: Xenia Fink wird die „Aufnahme und Integration der Vertriebenen in drei hessischen Landkreisen“ untersuchen und dabei die Kreise Groß-Gerau, Limburg-Weilburg und Waldeck-Frankenberg in den Blick nehmen. Nora Theml möchte „Erinnerungsbilder über Flucht, Vertreibung und Integration in narrativen Interviews mit Vertriebenen und deren Nachkommen“ erforschen und legt dabei einen Schwerpunkt auf Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und die sogenannte ‚oral history‘. Hilke Wagner will die „Transformationen von Erinnerungskultur durch Digitalisierung“ untersuchen und herausfinden, wie Erinnerungen im Internet dargestellt werden und wie sie sich durch äußere Einflüsse eventuell auch verändern.

Feierliche Eröffnungsfeier mit Festvortrag

Den Festvortrag zur Eröffnungsveranstaltung hielt Prof. Dr. Jannis Panagiotidis von der Universität Wien, an der er Wissenschaftlicher Direktor am Research Center for the History of Transformations ist. Sein Vortrag unter dem Titel „Vertriebene, Spätaussiedler und die ‚Veröstlichung‘ der deutschen Zeitgeschichte“ beschäftigte sich unter anderem mit der Rolle der Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler als Brückenbauer zwischen Ost und West. Prof. Dr. Pangiotidis machte deutlich, dass es den Vertriebenen und Spätaussiedlern gelungen sei, blockübergreifende Netzwerke zwischen West und Ost aufzubauen, jedoch müsse man sich bewusst sein, dass diese Netzwerke, auch familienintern, nicht immer konfliktfrei seien. Weiterhin wies er darauf hin, dass die Familiennetzwerke und Landsmannschaften als „migrantische Selbstorganisationen“ im Endeffekt nie auf diese Netzwerk-Funktion hin erforscht wurden. Die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (LMDR) habe von Anfang an als Netzwerk fungiert und es als ihre Selbstaufgabe gesehen, Kontakte herzustellen, als Suchdienst zu fungieren und bei der Aussiedlung zu helfen. Dies belegte Prof. Dr. Panagiotidis mit mehreren Ausschnitten aus der Zeitschrift der LMDR „Volk auf dem Weg“, die bereits in den 1950er Jahren als Medium einer transkontinentalen Verbindung gedient habe.

„Die feierliche Eröffnungsveranstaltung des Schwerpunktbereiches hat deutlich gemacht, dass hier ganz konkret die Erlebnisse und Erfahrungen der Heimatvertriebenen und Spätaussiedler in Hessen seit 1945 erforscht werden und herausgearbeitet werden soll, mit welchen Chancen und Risiken dies auch für die hessische Bevölkerung verbunden war. Es freut mich sehr, dass Vertreterinnen und Vertreter der Heimatvertriebenen und Spätaussiedler zahlreich an der Veranstaltung teilgenommen haben und ich bin mir sicher, dass diese gern ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit den Doktorandinnen teilen und so zum Erfolg dieses Forschungsprojektes beitragen werden“, betonte Hessens Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler abschließend.