Landesbeauftragte Ziegler-Raschdorf mit den Kindern der Aufführung

Hessisches Ministerium des Innern, für Sicherheit und Heimatschutz

Landesbeauftragte zu Gast bei der Premiere des Theaterstücks „Der Wermutstannenbaum“

In der Not gibt es einen Weihnachtsbaum aus Wermutskraut. Damit behalf man sich in den schweren Jahren der Deportation der Russlanddeutschen nach Sibirien in der Familie der Maria Fitz, die als Sechsjährige die Entwurzelung durch die Vertreibung aus ihrer Heimat an der Wolga und die Verbannung ihrer Familie miterleben musste.

Die Autorin und Journalistin Olga Kolpakowa, Enkelin einer Russin und eines Deutschen, die in Jekaterinburg lebt, beschreibt in ihrem 2018 erschienenen Kinderbuch „Der Wermutstannenbaum“ das Schicksal der Familie von Maria, dem kleinen „Mariechen“.

Der Wermutstannenbaum als Symbol ihrer Kindheit

Es ist eine traurige, berührende Geschichte, einfach und ehrlich aus Kindersicht erzählt. Maria Fitz, heute 83 Jahre alt, erlebte das schlimme Schicksal hunderttausender Russlanddeutscher, die ohne ein Recht auf Rückkehr 1941 nach Sibirien deportiert wurden. Den Erwachsenen wie den Kindern fehlte es über Jahre an allem. Sie hatten weder Essen, noch Kleidung oder Schuhe für den harten Winter, noch ein geschütztes Zuhause. Sie lebten in Hütten unter regendurchlässigem Strohdach gemeinsam mit Ratten und Ungeziefer. Der Vater im Krieg und von der Familie getrennt, erlebten Mutter, Großmutter, Mariechen und ihre beiden Schwestern täglich Verlust, viele Enttäuschungen und eine große Verzweiflung.

Und trotzdem hörten sie nicht auf, an das Gute zu glauben. Der Wermutstannenbaum an Weihnachten als Notbehelf wurde zum Symbol ihrer Kindheit, geschmückt mit Papier und Püppchen aus Teig und Stofffetzen. Er mag struppig und unscheinbar gewesen sein, er war trotzdem wunderbar, ja zauberhaft und erfüllte Wünsche. So fanden sie ihren Trost und einen Funken Hoffnung in kleinen Wundern des alltäglichen Lebens, im Glauben und in bestimmten Ritualen, an denen Menschen trotz aller Schrecken und Schicksalsschläge festhalten.

Beeindruckende Erstaufführung

Genau an dem Tag, an dem in Russland das Buch über „Mariechen“ als gefährdende Literatur eingestuft wurde, hatte am 24. Juli 2022 die darauf beruhende Theateraufführung ihre Premiere im Main-Kinzig-Forum in Gelnhausen. In ihrem Grußwort anlässlich der beeindruckenden Erstaufführung richtete Landesbeauftragte Margarete Ziegler-Raschdorf ihren herzlichen Dank für die gemeinschaftliche Initiative zu dem Projekt eines Theaterworkshops für junge Leute an den Kreisvorsitzenden des Bundes der Vertriebenen, BdV Hanau - Main-Kinzig, Lothar Streck sowie an Frau Dr. Olga Martens aus Gelnhausen vom Verein „Sprach- und Partnerschaftsinitiative e.V.“: „Theater ist ein Ort der Freiheit und der Möglichkeiten. Es ist ein Spielraum des Lebens. In diesem Spielraum sehen wir unsere eigene Geschichte, weil wir andere Geschichten sehen und verstehen. Mit diesem Theater-Workshop haben Sie jungen Menschen zwischen 8 und 22 Jahren die Möglichkeit gegeben, in ein anderes fremdes Leben einzutreten, Empathie für ein fremdes Schicksal zu entwickeln, dieses kennenzulernen, sich dabei auch der eigenen Familienherkunft zu erinnern und daraus Schlüsse zu ziehen. ´Aus dem Leben eines Menschen lernen wir die Geschichte eines Landes` – so hat es Autorin Olga Kolpakowa beschrieben. Das ist etwas sehr Wertvolles und prägt die Mitwirkenden ihr gesamtes Leben lang. Ich bin den beiden Initiatoren dankbar für die Idee und Organisation und kann nur hoffen, dass dieses erste gemeinsame Projekt der Beginn einer weiteren guten Zusammenarbeit zwischen dem BdV Hanau - Main-Kinzig und den Russlanddeutschen im Main-Kinzig-Kreis sein wird.“ Wie die Landesbeauftragte hervorhob, nahmen nicht ausschließlich russlanddeutsche Jugendliche an dem Workshop teil, sondern ebenfalls einheimische deutsche und auch russische Kinder. Dies sei ein großartiges verbindendes Zeichen für Verständigung und Versöhnung.

Aufführung, die bewegte und nachdenklich stimmte

Ein besonderes Ereignis sei die Anwesenheit der heute 83-jährigen Maria Fitz bei der Premiere im Main-Kinzig-Forum gewesen. Ziegler-Raschdorf freute sich, mit ihr ins Gespräch zu kommen: „Welch großes Geschenk, das echte ´Mariechen` aus dem Buch ´Der Wermutstannenbaum` persönlich kennenzulernen und zu erleben, dass die Kinder ihre persönliche Geschichte wirklich verstanden haben und in einer Weise zur Aufführung brachten, die nicht nur Maria Fitz zu Tränen rührte.“

Unter der Leitung der Regisseurin und Professorin der University of Florida, Monika Gossmann, selbst Spätaussiedlerin, hätten die Kinder in drei Tagen die Rollentexte erlernt und mit Ernsthaftigkeit und großer Spielfreude und nur wenigen Requisiten ein Schauspiel auf die Bühne gebracht, das die rund einhundert anwesenden Zuschauerinnen und Zuschauer tief bewegte und nachdenklich stimmte.

Landesbeauftragte Ziegler-Raschdorf erklärte zum Abschluss der Premiere: „Es ist etwas anderes, historische, eher distanzierte wissenschaftliche Abhandlungen über das Schicksal der Russlanddeutschen zu lesen oder davon in der einfachen, detailreichen Kindersprache zu hören. Das Theaterstück hat mich tief bewegt und mir die Dimension des unmenschlichen Umgangs mit den Deutschen, die in den ehemaligen Sowjetstaaten lebten, vor Augen geführt. Ich danke allen, die diesen Einblick in das schwere Schicksal russlanddeutscher Spätaussiedler ermöglicht haben und bin froh, dass ich für dieses Projekt eine finanzielle Förderung aus dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport vermitteln konnte.“

Dr. Olga Martens, Maria Fitz, das echte „Mariechen“ aus dem Buch „Der Wermutstannenbaum“, Landesbeauftragte M. Ziegler-Raschdorf.
Dr. Olga Martens, Maria Fitz, das echte „Mariechen“ aus dem Buch „Der Wermutstannenbaum“, Landesbeauftragte M. Ziegler-Raschdorf.