Wiesbaden. Die Hessische Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Margarete Ziegler-Raschdorf, macht auf die Bedeutung des 80. Jahrestages des „Deportationserlasses“ am morgigen Samstag, den 28. August 2021, aufmerksam:
Als „Deportationserlass“ wird der Erlass des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941 „Über die Umsiedlung der Deutschen, die in den Wolga-Rayons leben“ bezeichnet. Dieser Erlass ist als Schlüsselereignis in der über 250-jährigen Geschichte der Russlanddeutschen zu werten, denn er hatte weitreichende, grausame Folgen für die Deutschen, die seit 250 Jahren in Russland lebten. Zuerst wurden mit diesem Erlass die Wolgadeutschen haltlos der Kollaboration mit Hitler-Deutschland beschuldigt und in Folge dessen gemeinsam mit nahezu allen anderen Russlanddeutschen aus dem europäischen Teil der Sowjetunion in wochenlanger Fahrt in Güterwaggons hinter den Ural, nach Kasachstan und Sibirien deportiert. Die Fahrt in die Verbannungsgebiete kostete infolge der unbeschreiblichen Umstände besonders alte Menschen und Kinder das Leben. Insgesamt waren Hunderttausende Russlanddeutsche von der Deportation betroffen. Der „Stalin-Erlass“ bildete den Anfang einer systematischen, repressiven Politik gegen Deutsche in der Sowjetunion. Schutzhaft, Zwangsarbeit, Rechtlosigkeit und gesellschaftliche Ausgrenzung waren die Folgen. Mit der sogenannten „Umsiedelung“ in Gebiete östlich des Urals war auch verbunden, dass die Russlanddeutschen ihre Privilegien, wie ein eigenes Schul- und Bildungswesen und eine eigene Gerichtsbarkeit verloren. Fortan war auch die Verwendung der deutschen Sprache unter Strafe gestellt.
Sobald die Russlanddeutschen in den Gebieten östlich des Urals angekommen waren, mussten sie in verschiedenen Arbeitslagern auf Baustellen, in Bergwerken und in den Wäldern schwerste körperliche Arbeiten verrichten und waren Zwangsarbeiter in der sog. Trud-Armee. Die Trud-Armisten bestanden aus Männern zwischen 15 und 60 Jahren, sowie aus Frauen, die keine Kinder unter drei Jahren zu versorgen hatten. In Folge dessen blieben die Kinder, die älter als drei Jahre waren, sich selbst überlassen und wurden somit dem Tod preisgegeben. Aber auch die Trud-Armisten waren den körperlichen Strapazen der schweren Arbeit und den unerträglichen seelischen Belastungen nicht gewachsen und starben vor Hunger und Erschöpfung. Ohne die Angehörigen zu benachrichtigen, wurden die Leichen in Massengräbern verscharrt.
„Folgen des Stalin-Erlasses waren, dass die Deutschen in der Sowjetunion für rechtlos erklärt wurden, in jahrzehntelanger, erzwungener Verbannung in Sondersiedlungen leben mussten und ihre Bürgerrechte verloren. Dies führte nicht nur zu körperlichem und seelischem Leid bei den Betroffenen, sondern auch zu einer dauerhaften Entwurzelung, da der Volksgruppe die Grundlage der nationalen Identität geraubt wurde. Unter diesem Trauma leiden viele der Deutschen aus Russland bis heute“, erklärt Hessens Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler.
Margarete Ziegler-Raschdorf betont, dass die Hessische Landesregierung das schwere Leid, welches die Russlanddeutschen während und nach dem Zweiten Weltkrieg erleiden mussten, anerkennt und es auch als ihre Aufgabe versteht, die Erinnerung an dieses schwere Schicksal nicht nur bei den Russlanddeutschen selbst, sondern innerhalb der gesamten Bevölkerung ins Bewusstsein zu rufen und wach zu halten. Die Geschichte der Russlanddeutschen sei Teil gesamtdeutscher Geschichte.
„Es ist gut, dass die Russlanddeutschen hier in Hessen, wie auch in ganz Deutschland sich dazu entschlossen haben, besondere Projekte anlässlich des 80. Jahrestages des Deportationserlasses zu verwirklichen. Dies macht deutlich, dass die Russlanddeutschen diesen Gedenktag besonders würdigen und mit den angesprochenen Projekten darauf aufmerksam machen möchten“, so Margarete Ziegler-Raschdorf. Beispielsweise hat der Bundesverband der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (LmDR) eine Gedenkschrift mit dem Titel „Unschuldiges Leiden. Gedenkschrift zum 80. Jahrestag der Deportation der Deutschen in der Sowjetunion“ veröffentlicht und die Interessengemeinschaft der Deutschen aus Russland in Hessen (IDRH) hat das Projekt „80 Jahre Deportation. Wir erinnern uns.“ gestartet. Dabei berichtet die Erlebnis-, Kinder- und Enkelgeneration mit Fotos, Videos und geschriebenen oder gesprochenen Texten über das Vertreibungsschicksal der Familienangehörigen.
„Mein Anliegen als Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler ist es, an das schwere Schicksal und die Deportation der Deutschen aus Russland zu erinnern und auch die deutsche Öffentlichkeit darüber zu informieren. Bei der Pflege ihrer Traditionen aber selbstverständlich auch bei der Eingliederung in die hiesige Gesellschaft will ich die Russlanddeutschen nach besten Kräften unterstützen“, erklärt die Landesbeauftragte.