V.l.n.r.: Svetlana Rintek von der Deutschen Minderheitenvertretung Perbál; László Varga, Bürgermeister der Gemeinde Perbál; Adam Daume, Vorsitzender der Partnerschaftsvereinigung Burgwald; Margarete Ziegler-Raschdorf, Landesbeauftragte der Hessischen Landesregierung für Heimatvertriebene und Spätaussiedler; Lothar Koch, Bürgermeister der Gemeinde Burgwald sowie Andrea Bors, Schulleiterin aus Perbál / Ungarn
Am Eisenbahnhaltepunkt in Ernsthausen wird nun mit einer Gedenktafel daran erinnert, dass am 14. April 1946 in 34 Vieh-Waggons 1.047 ungarndeutsche Heimatvertriebene aus Perbál, genauer gesagt 458 Männer, 589 Frauen und 392 Kinder im Altkreis Frankenberg ankamen. Außerdem hatte die Region – wie die meisten Regionen in Hessen – weitere Vertriebene aus anderen Herkunftsregionen aufzunehmen. Insgesamt kamen mehr als 9.000 Heimatvertriebene im Jahr 1946 im Altkreis Frankenberg an. Daran zu erinnern, galt es auch bei der anschließenden Gedenkveranstaltung im Bürgerhaus, wo Landesbeauftragte Ziegler-Raschdorf die Festansprache hielt.
1.700 deutsche Siedler aus Süddeutschland, Österreich und Sachsen
Landesbeauftragte Margarete Ziegler-Raschdorf erinnerte in ihrer Festansprache daran, dass seit dem Jahr 1.700 deutsche Siedler aus Süddeutschland, Österreich und Sachsen in die nach den Türkenkriegen zum Teil menschenleeren Gebiete Pannoniens, des Bannat und der Batschka gekommen waren und entscheidend zur wirtschaftlichen Erholung und kulturellen Eigenart dieser Region beitrugen. Ende des 18. Jahrhunderts lebten im damaligen Vielvölkerstaat Ungarn mehr als 1 Million Deutsche. Vor dem I. Weltkrieg lebten etwa 1,5 Millionen Donauschwaben im Königreich Ungarn. Viele von diesen seien nach 1945 vertrieben worden. Durch das Potsdamer Abkommen ermächtigt, die gesamte deutsche Bevölkerung auszusiedeln, wurde etwa die Hälfte der Deutschen aus Ungarn ausgewiesen.
Damit werde noch einmal die Dimension der Vertreibung der Deutschen aus ihren über Jahrhunderte angestammten Siedlungsgebieten in Ostmittel- und Südosteuropa deutlich. Mehr als 15 Millionen Deutsche hätten unter Zwang ihre Heimat verlassen müssen. Die größte Völkerverschiebung seit Menschengedenken. „In Hessen hat dies dazu geführt, dass heute nahezu ein Drittel aller hier lebenden Bürgerinnen und Bürger selbst oder über die familiäre Abstammung ein Vertreibungs- oder Aussiedlerschicksal hat. Dies muss man sich vor Augen führen, um die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung der Heimatvertriebenen und Spätaussiedler für unser Land und seine Entwicklung zu verstehen. Wir haben in Hessen und ganz Deutschland allen Grund dazu, dankbar zu sein, für die Menschen, die zu uns kamen. Sie haben gemeinsam mit den Einheimischen unser Land zu dem Erfolgsland gemacht, das es heute darstellt. Ja, die Eingliederung der Heimatvertriebenen ist am Ende gelungen – auch wenn die Anstrengungen groß und schwer waren“, so Landesbeauftragte Ziegler-Raschdorf.
Überwindung von alten Feindschaften in Europa
Ebenso hätten die Heimatvertriebenen einen wesentlichen Anteil daran, alte Feindschaften in Europa zu überwinden und Brücken in ihre Herkunftsstaaten zu bauen. Manchmal seien daraus sogar feste Partnerschaften und auch Freundschaften entstanden, wie das Beispiel der hiesigen Gemeinde-Partnerschaft der hessischen Gemeinde Burgwald mit der Gemeinde Perbál in Ungarn zeige. So sei eine sechsköpfige Delegation mit Bürgermeister László Varga aus Perbál nach Burgwald angereist, um gemeinsam mit „ihren“ Ungarndeutschen in Burgwald der Ereignisse vor 75 Jahren zu gedenken. Dies sei eine beeindruckende Geste der Verständigung. In Perbál lebten bei Kriegsende 2.100 Einwohner, 80 Prozent davon waren Deutsche. Mehr als 200 Jahre lang hatten deutsche, ungarische und slawische Familien in guter Nachbarschaft miteinander gelebt, bis die Deutschen 1946 vertrieben wurden. Dennoch seien ihre Kontakte in die alte Heimat nie abgerissen und es entwickelte sich hieraus schließlich 1997 eine feste Gemeindepartnerschaft.
Auch die Verständigungsarbeit der Deutschen aus Ungarn und das hierbei entstandene Vertrauen hätten dazu geführt, dass Ungarn zu den ersten osteuropäischen Ländern gehörte, welches im Jahr 1990 die Vertreibung der Deutschen aus dem eigenen Land öffentlich bedauerte. Das Verhältnis zwischen Ungarn und den Ungarndeutschen sei heute gut – vor allen Dingen im Vergleich zu seinen Nachbarländern. Landesbeauftragte Ziegler-Raschdorf hob hervor: „Ungarn hat bereits im Jahr 2012 – noch vor der Bundesrepublik Deutschland – beschlossen, einen Gedenktag für die vertriebenen Deutschen einzuführen, der seither alljährlich am 19. Januar, dem Tag des Beginns der Vertreibung im Jahr 1946, begangen wird. Darüber hinaus wurde an der Grenze zwischen Ungarn und Österreich am 19. August 1989 deutsche und europäische Geschichte geschrieben. An diesem Tag fand an der Ungarisch-Österreichischen Grenze das ‚Paneuropäische Picknick‘ statt. DDR-Bürger, die am Picknick teilnahmen, strebten danach, die Grenze nach Österreich zu überwinden. Mutige ungarische Grenzschützer öffneten die Stacheldrahtzäune und ermöglichten mehr als 600 Menschen aus der DDR erstmals friedlich den Eisernen Vorhang in Richtung Freiheit zu durchschreiten. Die Nachricht über dieses Ereignis führte zu einer erheblichen weiteren Destabilisierung des DDR-SED-Regimes. Das Paneuropäische Picknick war insofern ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur deutschen Einheit. Auch dafür sind wir dem Ungarischen Staat und allen Ungarn zu großer Dankbarkeit verpflichtet.“