Die Aufnahme, Unterbringung und Integration Geflüchteter stellt die Kommunen und das Land Hessen weiterhin vor große fach- und finanzpolitische Herausforderungen. Angesichts der weiter stark anhaltenden Flüchtlingszahlen, stellt das Land seinen Kommunen noch in 2023 zusätzliche 50 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt zur Deckung flüchtlingsbezogener Ausgaben zur Verfügung. Vor der Ministerpräsidentenkonferenz am 6. November 2023 in Berlin fordert die Landesregierung gemeinsam mit den Kommunalen Spitzenverbänden weitere finanzielle Unterstützung vom Bund für die mit den hohen Flüchtlingszahlen verbundenen Herausforderungen.
Landesregierung hilft hessischen Kommunen mit weiteren 50 Millionen Euro
„Die Hessische Landesregierung steht fest an der Seite der Kommunen, denen sie in den vergangenen Jahren zur Unterbringung und Betreuung von geflüchteten Menschen stets höhere finanzielle Mittel zur Verfügung stellte, als dies der Bund getan hat. Aufgrund der anhaltend hohen Flüchtlingszahlen kommen die Kommunen aber nunmehr neben den organisatorischen Herausforderungen auch in finanzieller Hinsicht an die Grenze des Leistbaren. Die Landesregierung wird den hessischen Kommunen noch in diesem Jahr mit weiteren 50 Millionen Euro beistehen. Damit treten wir erneut in Vorleistung für den Bund, der seiner Verantwortung wesentlich stärker nachkommen muss. Wir setzen uns dafür ein, dass ein atmendes ‚Pro-Kopf-System‘ umgesetzt wird, mit dem sich der Bund verlässlich und dauerhaft an den erhöhten Kosten seiner Flüchtlingspolitik beteiligt. Die Länder und Kommunen haben keinen Hebel und keine Möglichkeiten, um Zuwanderung in geregelte Bahnen zu lenken. Es führt kein Weg daran vorbei, dass die Zahl der nach Deutschland flüchtenden Menschen stärker reguliert werden muss. Nur so können wir die Hilfsbereitschaft gegenüber Geflüchteten erhalten“, so Hessens Ministerpräsident Boris Rhein.
Die drei Präsidenten der Kommunalen Spitzenverbände Fuldas Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld, Hessischer Städtetag, der Landrat des Lahn-Dill-Kreises, Präsident des Landkreistages Wolfgang Schuster und der Viernheimer Bürgermeister Matthias Baaß, Präsident des Hessischen Städte- und Gemeindebundes fordern gemeinsam deutlich mehr Geld von Bund und Land für die kommunale Aufgabe der Flüchtlingsbetreuung. Vor allem müssten Bund und Land deutlich weniger Geflüchtete an die Kommunen zuweisen.
Geld ist nicht allein das Problem
„Viele kommunale Haushalte laufen schon auf Reserve. Bevölkerung, Wirtschaft und die kommunalpolitisch Verantwortlichen haben in den letzten Jahren große Anstrengungen für ausgeglichene Haushalte umgesetzt. Das ist so nicht wiederholbar. Inflation, steigende Personalkosten und andere Belastungen werden die finanzielle Lage verschlechtern. Dann müssen Bund und Land bei der Flüchtlingsunterbringung wenigstens das Finanzielle voll übernehmen: Die Kommunen fordern, dass Bund und Land zu den Integrationskosten eine Einigung erzielen und die notwendigen Kosten übernehmen. Bund und Land müssen endlich die Investitionskosten für Einrichtungen, Plätze, Maßnahmen und Infrastruktur übernehmen, damit Integration in den Handlungsfeldern Wohnen, Gesundheit, Bildung, Sprachförderung, Freizeit gelingen kann. Geld ist nicht allein das Problem: Die Akzeptanz in der Bevölkerung gebietet, die hohen Zugänge zu vermindern, damit die Kommunen nicht Unterkünfte in Containern errichten müssen und sich nicht Wohnraum und Kita-Plätze weiter verknappen“, so die drei Präsidenten der Kommunalen Spitzenverbände Dr. Heiko Wingenfeld, Wolfgang Schuster und Matthias Baaß.
Die Kommunen fordern schon seit langem, dass Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive in Landesaufnahmeeinrichtungen verbleiben und das Land sie nicht an die Kommunen verteilt. Kommunale Maßnahmen der Integration machen keinen Sinn für Menschen, die gar nicht bleiben werden. Der Bund müsse darauf hinwirken, dass die Anreize, nach Deutschland einzureisen, reduziert werden. Ziel müsse es sein, die Sozialleistungen für Flüchtlinge europaweit zu harmonisieren.
Kommunale Haushalte: Konsolidierungskurs der Kommunen droht ins Wanken zu geraten
2022 konnten nahezu alle Landkreise, Städte und Gemeinden ihren Haushalt ausgleichen. Nur zwei Prozent schafften dies nicht. Diese erfreuliche Entwicklung der guten Haushaltsführung und -disziplin steht bei ausbleibender finanzieller Unterstützung durch den Bund bei den Flüchtlingskosten auf dem Spiel. Schon heute ist die finanzielle Lage der Landkreise angespannt. Die 21 hessischen Landkreise erwarten in diesem Jahr Haushaltsdefizite von mehr als 280 Millionen Euro. Für das Jahr 2024 wird derzeit mit Verlusten von 480 Millionen Euro gerechnet. Ein Grund für die Einbußen der Landkreise sind die deutlich angewachsenen Sozialleistungen, die von 2022 auf 2023 um 12 Prozent auf insgesamt 3,9 Milliarden Euro angestiegen waren und die hauptsächlich durch das Land und die Kommunen getragen werden. Die gestiegenen Kosten infolge des erhöhten Zugangs geflüchteter Menschen waren bei der Haushaltsaufstellung im Jahr 2022 für das Jahr 2023 für die Kommunen nicht vorhersehbar.
„Die hessischen Kommunen und das Land haben in der Vergangenheit große Anstrengungen unternommen, um auf einen soliden finanziellen Pfad zu kommen. Der Ausgleich der hessischen Haushalte ist uns 2022 bis auf wenige Ausnahmen gemeinsam gelungen. Dieser Konsolidierungskurs ist nunmehr durch die erhöhten Kosten der Kommunen bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen ins Wanken geraten. Wenn die Kommunen vor Ort weniger Haushaltsmittel für die Daseinsvorsorge zur Verfügung haben, werden notwendige Spielräume der kommunalen Selbstverwaltung so minimiert, dass die Erhöhung von Steuern in unseren Städten und Gemeinden droht. Damit unsere Kommunen weiterhin auf solider wirtschaftlicher Basis agieren können, muss sich der Bund stärker finanziell engagieren“, so Kommunalminister Peter Beuth.
Landesfinanzen: Bund beteiligt sich nur unzulänglich an den Kosten der Flüchtlingshilfe
Hessens Finanzminister Michael Boddenberg wies auf die Ergebnisse einer Studie der Zentralen Datenstelle der Landesfinanzminister hin, die im Auftrag der Finanzministerkonferenz die asyl- und flüchtlingsbedingten Belastungen von Ländern und Kommunen ermittelt hat: „Danach sind Länder und Kommunen im Jahr 2022 mit 17,6 Milliarden Euro belastet und im Jahr 2023 mit 23,3 Milliarden Euro. Die Leistungen des Bundes betrugen in diesen Jahren jeweils knapp vier Milliarden Euro. Dieses Missverhältnis muss der Bund nun dringend ausgleichen. Obwohl der Kommunale Finanzausgleich seit Jahren stetig anwächst und auch in diesem Jahr einen neuen Rekordwert erreicht hat, sehen wir durch die zunehmenden Flüchtlingskosten unsere Kommunen an einem finanziellen Kipppunkt. Das Land hat sich bereits in diesem und im letzten Jahr finanziell stark an den Flüchtlingskosten in den Kommunen beteiligt und tritt immer wieder in Vorleistung. Hessen zahlte bisher mehr als zweieinhalb Mal so viel an die hessischen Kommunen, wie das Land selbst vom Bund bekommen hat. Es braucht jetzt mehr Engagement des Bundes ohne das es in den kommenden Jahren nicht gehen wird.“ Zur schnellen Entlastung der Kommunalfinanzen stellen Innen- und Finanzministerium deshalb noch in diesem Jahr 50 Millionen Euro aus Haushaltsresten zusätzlich zu den bisher zugesagten Mitteln zur Verfügung. Diese Gelder werden nach der Anzahl der Leistungsempfänger auf die Landkreise und kreisfreien Städte verteilt. „Wie wir 2024 verfahren, werden wir dann entscheiden, wenn wir wissen, wie viele Mittel vom Bund bereitgestellt werden“, so Michael Boddenberg.
Integrationsmittel: Bund will ab 2024 im Integrationsbereich deutlich kürzen
„Land und Kommunen stehen derzeit vor einer Vielzahl von Herausforderungen. Wir konnten sie bisher in einem gemeinsamen Schulterschluss bewältigen, weil die Maßnahmen von Bund, Ländern und Kommunen gut ineinandergreifen. Zieht sich der Bund zunehmend aus der Finanzierung der nötigen sozialen Infrastruktur zurück, verschärft er die Situation. Insbesondere bei der Finanzierung der Migrationsberatung, der Jugendsozialarbeit und der Erstorientierungskurse ist eine mindestens stabile finanzielle Beteiligung des Bundes erforderlich. Allein für Hessen sieht der aktuelle Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2024 aber Kürzungen bei den Integrations- und Unterstützungsprogrammen in Höhe von mehr als 70 Millionen Euro vor. Gerade vor dem Hintergrund der weiterhin hohen Zugangszahlen zu uns flüchtender Menschen besteht die Gefahr, dass etablierte Strukturen zur Integration Geflüchteter in Hessens Kommunen nicht mehr in der bewährten und notwendigen Form aufrechterhalten werden können“, betonte Sozial- und Integrationsminister Kai Klose.
Erstaufnahmeeinrichtung: Land musste Zuweisungszahlen an Kommunen erhöhen
Die Zahl der Menschen, die nach Hessen kommen, verharrt aktuell auf sehr hohem Niveau. Im dritten Quartal 2023 stieg sie im Vergleich zum zweiten Quartal 2023 deutlich um 70 Prozent an. Die Landesregierung hat daher bereits seit 2022 die Unterbringungskapazitäten der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen (EAEH) ausgebaut. Seit Sommer 2023 wurde die EAEH um weitere 3.000 Plätze erweitert. Zuletzt wurden zusätzliche temporäre Unterbringungsmöglichkeiten auf dem Messegelände in Frankfurt am Main geschaffen. Durch diese Maßnahme konnte die maximale Gesamtkapazität der EAEH auf rund 13.000 Belegungsplätze erhöht werden.
Der wöchentliche Zugang Geflüchteter in die EAEH liegt aktuell bei rund 1.400 Personen. Neu ankommende Asylsuchende werden in der EAEH zunächst vollständig registriert und medizinisch untersucht, bevor das Regierungspräsidium Darmstadt als Zuweisungsstelle die Zuweisung der Menschen vornimmt. Die Zuweisung wird dabei im bewährten Verfahren mit 14-tägiger Vorlaufzeit und damit für die Kommunen planbar sichergestellt. Um den gesamten Registrierungsprozess angesichts anhaltend hoher Zugangszahlen aufrechterhalten zu können, musste die Zuweisung Asylsuchender aus der EAEH in die Landkreise und kreisfreien Städte in den letzten Wochen wöchentlich auf bis zu 1.400 Menschen erhöht werden. Das Land unterstützt die Kommunen beim Abschluss von Verträgen im Zusammenhang mit der Einrichtung kommunaler Unterkünfte, außerdem wird der Einsatz von Einheiten des Katastrophenschutzes für den Aufbau und die Erstbetriebsphase ermöglicht. Um den durch die Mittelkürzungen des Bundes bevorstehenden Wegfall der Erstorientierungskurse zu dämpfen und einen Zusammenbruch der Strukturen zu verhindern, hat Hessen im Frühjahr bereits eine weitere Million Euro für sein Sprachförderprogramm „Deutsch4U“ bereitgestellt.